
Dienstag, 10. Juli 2007
Der Spiegel und die wegsehende Gesellschaft

MOBBING 10.000 Euro für drei Jahre Qualen Von Peter Ilg Mini-Dienstwagen, kein Heimbüro mehr, tagelang ohne Telefon: Simon Deckert wurde drei Jahre lang gemobbt. Dann hat er seinen Arbeitgeber verklagt. Im Gegensatz zu vielen Mobbing-Opfern hielt er alle Vorfälle akribisch fest - und bekam deshalb jetzt größtenteils Recht. Stuttgart - Simon Deckert ist ein akribischer Mann. Wenn es um geschäftliche Vorgänge geht, hält er jedes Detail fest und archiviert die Niederschrift, damit man sie auch wieder findet. Solche Ordnungsliebe geht manchem Beobachter gegen den Strich, mitunter provoziert sie geradezu. Aber für Deckert erwies sie sich jetzt als großer Vorteil: Er konnte vor Gericht beweisen, dass er in seinem Betrieb gemobbt wurde - und bekam insofern größtenteils Recht. Sein Fall wird inzwischen sogar bis ins Detail auf einer Internet-Seite geschildert. Simon Deckerts Leidensweg begann, als er einem Kollegen zur Seite sprang, der sich über die unbillige Herabsetzung durch seinen Vorgesetzten beschweren wollte. Der Mann, wie Deckert Vertriebsmitarbeiter beim inzwischen zu Versatel gehörenden Telekom-Dienstleister Tesion, behauptete, dass er als Krüppel und schlechtester Verkäufer des Teams bezeichnet worden war. Schreibtisch im Besprechungsraum Gemeinsam mit zwei weiteren Kollegen trugen sie ihr Anliegen dem nächsthöheren Vorgesetzten vor. Die Reaktion folgte mit Verzögerung, und sie fiel anders aus als erwartet: Drei Monate später erhielten zwei der Mitstreiter eine betriebsbedingte Kündigung. Der Dritte warf trotz Kündigungsschutzes als Betriebsrat selbst das Handtuch. Deckert durfte bleiben - aber der Preis war hoch. "Von dem Tag an wurde ich systematisch fertig gemacht", erinnert sich der 42-Jährige. Erst wurde ihm der Dienstwagen weggenommen und durch einen Fiat Panda ersetzt, dann sein Homeoffice-Arbeitsplatz vom Firmennetzwerk getrennt. Im Büro fand er einen leeren Schreibtisch vor, erst mit Verzögerung wurden ihm ein Computer und ein Telefon zur Verfügung gestellt. Außerdem wurde er aufgefordert, lückenlose Tagesberichte über seine Tätigkeiten zu verfassen - rückwirkend und an den Personalleiter persönlich gerichtet. Allesamt Punkte, die später vor Gericht als Verletzung der Persönlichkeitsrechte anerkannt wurden. Mehr als drei Jahre ließ Deckert sich die Erniedrigungen gefallen, bis die ersten Symptome einer psychischen Erkrankung sichtbar wurden. Dann zog er vor Gericht. "Mobbing" lautete sein Vorwurf. Er klagte auf Rücknahme der insgesamt vier Kündigungen, Bereitstellung eines mobbingfreien Arbeitsplatzes sowie die Zahlung von rund 87.000 Euro als Schadensersatz für Verdienstausfall und Arbeitsunfähigkeit. Rund 100 Vorfälle aufgelistet Zugute kam ihm dabei seine Akribie: Rund 100 Vorfälle listete er in der Klageschrift auf, jeden für sich, mit Datum und genauer Beschreibung. "Der Fall Deckert ist so besonders, weil der Mann die Mobbinghandlungen, die er seinem Arbeitgeber vorwirft, lückenlos dokumentiert hat und damit belegen kann", sagt Sandra Flämig, eine Arbeitsrechtlerin, die seit Jahren Mobbingfälle betreut. Die Nachweisbarkeit der Vorfälle sei Voraussetzung für eine erfolgreiche Klage. "Häufig ist es das Ziel von Mobbing, einen unliebsamen Mitarbeiter loszuwerden, dem auf legalem Wege nicht so einfach gekündigt werden kann", sagt Flämig. Deckert ist verheiratet, seine Frau kümmert sich um die beiden Kinder. Er war damals Alleinernährer der Familie, Versatel eine große Firma - der Kündigungsschutz war also entsprechend umfangreich. Dennoch stellt sich zwangsläufig die Frage: Warum lässt sich jemand über drei Jahre lang quälen, ohne die Reißleine zu ziehen? "Ich habe meine Arbeit gemocht, habe gehofft, dass es nach dem Eigentümerwechsel und unter einem neuen Geschäftsführer besser wird", versucht Deckert zu erklären. "Kaum einer gibt sich zudem gerne geschlagen, will Status und Ansehen ohne Gegenwehr verlieren." Aus rein juristischer Sicht ist der lange Leidensweg gut, denn damit Mobbing vor Gericht anerkannt wird, müssen sich die Schikanen über einen längeren Zeitraum hinweg erstrecken. Vereinzelte Angriffe gelten grundsätzlich nicht als Mobbing. Es muss auch eine gewisse Systematik nachweisbar sein, die hinter den Handlungen steckt. Entweder ist der Mobber immer dieselbe Person, oder mehrere Kollegen verbünden sich. Die Beweisführung ist entsprechend schwierig. Eine herablassende Bemerkung im Nebensatz etwa lässt sich im Nachhinein kaum belegen, noch weniger der Kontext, in dem sie gefallen ist. Noch schwieriger ist es, Unterlassungen zu belegen - Informationen oder Absprachen zum Beispiel, die dem Opfer vorenthalten wurden. Auch die Verteilung von Aufgaben kann je nach Perspektive vollkommen unterschiedlich interpretiert werden. Was ist Mobbing, was nicht? Teilsieg für Versatel Hinzu kommt, dass natürlich auch der Betroffene seinen Anteil an der Situation hat - durch eine komplizierte Persönlichkeit etwa oder einen eigenwilligen Arbeitsstil. Dadurch ergeben sich dann Konflikte mit Kollegen oder Vorgesetzten, die am Ende in gezielte Ausgrenzung münden können. "Mobbing ist eigentlich das Endergebnis von vielen gescheiterten Konfliktlösungsversuchen", sagt Mobbing-Experte Dieter Zapf von der Universität Frankfurt. Als Ausnahmeerscheinung gilt das Phänomen im Übrigen nicht. Den jüngsten Studien zufolge sind fast drei Prozent von solchen Übergriffen betroffen, wobei die Experten eine hohe Dunkelziffer vermuten. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) geht davon aus, dass rund 1,5 Millionen Menschen jeden Tag Psychoterror am Arbeitsplatz erleben. Betroffen sind hauptsächlich Frauen. In vielen Fällen ist der direkte Vorgesetzte entweder der Haupttäter, oder er ist in die Vorgänge involviert. Umso bemerkenswerter ist es, dass Deckert tatsächlich Recht bekam - wenn auch nur zum Teil. Die 6. Kammer des Arbeitsgerichts Stuttgarts stellte in ihrem Urteil vom 19. Oktober 2006 fest, dass das sein Persönlichkeitsrecht in acht Fällen in schwerwiegender Weise verletzt wurde. Die Maßnahmen des Unternehmens ließen keinen anderen Schluss zu, als dass sie zielgerichtet erfolgten, um den Kläger zum Ausscheiden aus dem Unternehmen zu bewegen, heißt es in der Urteilsbegründung. "Leben als Mensch beendet" In einem entscheidenden Punkt blieb Deckert nach Ansicht der Richter jedoch den Beweis schuldig. Er konnte den Zusammenhang zwischen den Mobbinghandlungen und den in ärztlichen Attesten festgestellten Gesundheitsverletzungen nicht hinreichend darlegen. Weil seine Klage auf Schadensersatz abzielte, verlor er am Ende den Prozess. Immerhin aber sprachen die Richter ihm eine Entschädigung in Höhe von 10.000 Euro zu. Auch ein Berufungsgericht schloss sich dem Urteil an. Versatel wertet den Teilsieg als Beleg für die Haltlosigkeit der Anschuldigungen. "Wir sind in allen Punkten unschuldig gesprochen worden", sagt Versatel-Sprecherin Marion Krause. Der Firma sei deshalb nicht klar, warum dann eine Strafe verhängt wurde. Deckert selbst ist dagegen kaum noch in der Lage, den Teilsieg als Erfolg zu verbuchen. Er sieht sich inzwischen auch noch als Opfer der Justiz. "Ich bin damit finanziell, gesundheitlich, rechtsstaatlich, psychisch und beruflich ruiniert", schreibt Deckert in einer E-Mail. Sein Leben als Mensch sei damit "rechtskräftig" beendet.
Geschrieben von Detlev Lengsfeld
um
13:08
| Kommentare (0)
| Trackbacks (2)
Tags für diesen Artikel: arbeitsrecht, dummheit, gerichte, ignorranz, justiz, korruption, mobbing, ungerechtigkeit, versatel
Offener Brief an alle Politiker dieses Landes Sehr geehrte Damen und Herren,es ist ein besonderes und wichtiges Anliegen, welches mich veranlasst Ihnen diesen Brief zu schreiben.Im Mai dieses Jahres verfasste ich einen Bericht mit dem Titel „Chronik
Aufgenommen: Dez 11, 15:42
Armut in DeutschlandOffener Brief an alle Politiker dieses Landes Sehr geehrte Damen und Herren, es ist ein besonderes und wichtiges Anliegen, welches mich veranlasst Ihnen diesen Brief zu schreiben. Im Mai dieses Jahres verfasste ich einen Bericht
Aufgenommen: Jul 12, 11:13