Gerichtsberichterstatter, die wie ich mehr als drei Jahrzehnte über die
Justiz geschrieben und sich kritisch an ihr gerieben haben, sollen sich am
Ende ihrer Laufbahn bitte nicht hinstellen und jammern.
Es ist doch klar:
Wer öffentlich Urteile schilt, wer vor Lesern, Hörern oder Zuschauern
herummäkelt an Richtern und Staatsanwälten oder gar sich in Glosse und
Satire über sie lustig macht, der kann nun wirklich nicht im Ernst erwarten,
dass die Gescholtenen ihr Haupt freudig in Asche legen und reumütig nur
Einsicht und Besserung geloben....
Realität ist, dass die Justiz im
Konflikt mit den Medien über beachtliche Mittel und Möglichkeiten verfügt,
sich der Kritik und ihrer Kritiker zu erwehren: mal frontal und knüppelhart,
mal indirekt und hintenherum, mal durch Ignorieren und Wegducken und selten,
viel zu selten noch durch Bereitschaft zu konstruktiver Auseinandersetzung,
zum Dialog mit dem Kritiker. Auf diese Realität hat der Gerichtsreporter,
der etwas verändern, etwas bewegen will, sich einzustellen, damit muss er
umgehen können...
Verteidigung sei Kampf, verlangt der legendär gewordene
Hans Dahs in seinem ebenso legendären "Handbuch des Strafverteidigers". Eine
Forderung, die ich für mein Metier aufnehmen möchte, allerdings aber etwas
weniger pathetisch und in dieser Formulierung:
Justizkritik sei Engagement,
und Engagement verlangt vom Gerichtsreporter, dass er im Auftrag seines
Publikums die Kraft aufbringt, aber auch die Kompetenz und Unabhängigkeit
besitzt, sich von Fall zu Fall bei der Justiz unbeliebt zu machen und zwar
gründlich und mit allen Konsequenzen.
Kein Gejammer..., dafür aber das
Bemühen, rückblickend und nunmehr jenseits des täglichen Getümmels etwas von
den Bedingungen zu objektivieren, unter denen Justizkritik in der
Bundesrepublik zu leisten ist, aber auch zu leiden hat.
Leiden ... als ein
eklatanter Mangel, als eine empfindliche und in jeder Weise ernstzunehmende
Einschränkung bei der Wahrnehmung eben jenes publizistischen Auftrags, dem
in der Gerichtsberichterstattung die fraglos schwierigste, aber auch
wichtigste Funktion zukommt: Kritik und Kontrolle der Justiz durch
Öffentlichkeit.
Gewiss: Wenn in deutschen Landgerichten ein Präsident in den
verdienten Ruhestand verabschiedet wird - und hinter dem festlichen
Gummibaumschmuck schon sein Nachfolger wartet - wird in feierlicher Rede
regelmäßig auch die hohe Aufgabe beschworen, die in Rechtsstaat und
Demokratie den professionellen Medienvertretern zukommt. Und wie schön
liberal klingt es doch, wie verständnisvoll, wenn bedeutende
Justizrepräsentanten ausdrücklich bekunden, wie sie sich die Arbeit unserer
Presse vorstellen: als wachsame und kritische Begleitung und nicht etwa als
Hofberichterstattung und langweiligen Verlautbarungsjournalismus.Jenseits
der Festtagsrede jedoch erweist sich solcherart Bekenntnis oft nur von
kurzer Dauer, dann nämlich, wenn es im täglichen Geschäft plötzlich Ernst
wird und die Justiz öffentlich unter Kritik gerät. Eben noch gestreichelt
und ermuntert, bekommt der Reporter im Gericht zu spüren, dass die ihm
dargereichte Hand einige hübsche Krallen hat. Und der Arm dieser Hand kann
sich auch als ausgesprochen lang erweisen, bis hoch hinauf in die Chefetage
von Verlag oder Sender.
"Privilegierte Einflussnahme" nennt man es, und was
dabei herauskommt, ist für den einzelnen Gerichtsreporter nicht ohne
weiteres abzusehen: eine Fortsetzung der ungeteilten Meinungsfreude oder
lieber doch ein mehr auf Harmonie und Ausgewogenheit bedachtes Verhältnis
zwischen Presse und Justiz?
Und der kritische Reporter? Eh er sich versieht,
sitzt der Kritiker zwischen diesen Stühlen und tut gut daran, umgehend mit
der Einübung des Balance-Akts zu beginnen. Glanz und Elend der Justizkritik
oder sagen wir es schlichter - von ihrer Möglichkeit und deren Grenzen:
damit wären wir bei unserem Thema. Ein Thema, über das - insoweit besteht
Konsens sowohl bei der Justiz als auch im Journalismus nur wenig geredet,
geschweige denn gestritten wird. Nur hin und wieder mal wird ein Fall
publik, bei dem der Konflikt so hoch kocht, dass die Beteiligten ihn nicht
mehr unterm Deckel halten können. So wie unlängst im kleinen Buxtehude, wo
der Amtsrichter nach Veröffentlichung eines fraglos scharfen Kommentars den
Gerichtsreporter vom örtlichen "Tageblatt" von der darauf folgenden
Hauptverhandlung kurzerhand ausschloss.
Begründung: "...Angesichts der
herabsetzenden Berichterstattung besteht die Gefahr, dass der
Berichterstatter auch weiterhin in entstellender und herabsetzender Form die
Öffentlichkeit unterrichtet" - also wegen Gefährdung der öffentlichen
Ordnung, § 172, Nr. 1 GVG).
Kommentar? Überflüssig, meine ich, nachdem das
OLG Celle die Anordnung des Amtsgerichts wieder aufgehoben hat, mit der
Feststellung, "dass ein Richter oder Schöffe sich Kritik an seiner Tätigkeit
in der Presse gefallen lassen muss, selbst dann, wenn sie unsachlich und
herabsetzend ist." Ausschluss von der Hauptverhandlung sei "erst dann
denkbar, wenn eine Pressekampagne nur darauf angelegt ist, das Gericht zu
beeinflussen". Eine, wie ich finde, klare und ausgewogene Entscheidung, die
man freilich auch erwarten durfte nach diesem eklatanten Fehlgriff in die
obrigkeitsstaatliche Mottenkiste.
In Frankfurt haben wir das zuletzt vor 40
Jahren erlebt, wobei der Rausschmiss kein geringeres Blatt als "Die Zeit" in
Hamburg betraf und einen ihrer renommierten Reporter, Uwe Nettelbeck, der es
übrigens vorzog, sich von da an ausschließlich auf die Kritik von Film und
Fernsehen zu konzentrieren. Auch wenn der Holzhammer von Buxtehude nicht
unser Problem ist, begreifen wir als Gerichtsreporter diesen Auftritt
gleichwohl als Ausdruck eines Symptoms, das auch anderswo bei den Gerichten
immer noch stark verbreitet ist. Was ich meine, sind der Unwille und die
Gereiztheit vieler, allzu vieler Richter und Staatsanwälte, sind Unfähigkeit
und mangelnde Bereitschaft, sich auf Justizkritik sachgerecht einzulassen
und konstruktiv mit ihr umzugehen.
Was erleben wir statt dessen? Kränkung
und Abwehr, formiert zu einem beachtlich entwickelten Verteidigungssystem,
dass auch zum Angriff übergehen kann: sowohl durch kollektive Bewegung als
auch durch Einzelaktion, um den Kritiker in die Schranken zu weisen. Bereits
eine kleine, feine Anmerkung - etwa zum Verhandlungsstil eines
Gerichtsvorsitzenden oder zu seiner Ausdrucksweise, gerade mal ein Halbsatz
im Rahmen eines Features, in dessen Mittelpunkt gar nicht der Richter selber
steht, sondern das Verhalten des Angeklagten allein das kann genügen, um
Alarm und Abwehr auszulösen. Da der Reporter oft gar nicht angesprochen wird
auf seine Äußerung, bleibt er in der Regel ahnungslos, wenn ihn die ersten
Reaktionen treffen: zum Beispiel wenn auf den Fluren sein Gruß nicht
erwidert wird oder wenn er im nächsten Prozess eine Nachfrage hat und der
Richter sich schroff abwendet und ihn ohne Antwort stehen lässt.
Halbwegs
für Aufklärung sorgen häufig erst Kollegen, denen die Gekränkten ausgiebig
ihr Leid geklagt haben. Bezieht sich die Kritik auf einen Vorgang, der nicht
bloß am Rand liegt, sondern auch Gewicht hat, ist damit zu rechnen, dass die
Justiz nicht mehr nur im Atmosphärischen reagiert, sondern sich zum
Aufmarsch rüstet. Zum Beispiel wenn nach ergangenem Freispruch in der
Berichterstattung der Frage nachgegangen wird, wieso bei weitgehend
unveränderter Beweislage überhaupt die Anklage zugelassen werden konnte -
oder auch, ob bei der Staatsanwaltschaft womöglich schlampig ermittelt
wurde. Jetzt muss also gehandelt werden - wovon der Autor zunächst wiederum
gar nichts erfährt. Vorzugsweise wendet sich das Gericht direkt an die
Redaktion, fernmündlich, schriftlich und/oder auch im persönlichen Gespräch
mit Chefredakteur bzw. Ressortleiter. Wird dann auf deren Wunsch der Autor
hinzugerufen, steht er zwei, drei klagenden Justizvertretern gegenüber, die
nach kurzem Schlagabtausch zum Thema gern übergehen, zu dem, wie sie sagen,
mal ganz Grundsätzlichem.
Nämlich: wie sich ein Journalist denn sein Urteil
bilden wolle, wenn er keine Akten kennt; dass er eingreife in schwebendes
Verfahren, solange dieses rechtsförmig nicht beendet sei; warum er nicht an
allen Verhandlungstagen von Anbeginn der Sitzung bis Ende anwesend gewesen
sei; und was so nebenbei - er eigentlich aufzuweisen habe an juristisch
fachlicher Qualifikation...?
Inquisitions- statt Akkusationsprinzip? Wir
wollen nicht übertreiben, freuen wir uns, dass man in diesem Fall noch
miteinander redet - auch über die Voraussetzungen von Justizkritik und deren
Mängel, worauf ich später noch zu sprechen komme..
Richtig dick aber kann es
für einen Reporter kommen, wenn es um die Aufdeckung handfester
Justizaffären geht, wie zum Beispiel:
- · Geldbußen, die in ausgewählte Kanale
gelenkt werden, um davon privat zu profitieren;
- · Nebentätigkeit, die zum
Haupteinkommen wird und den Anschein von Abhängigkeit aufkommen lassen;
- ·
Steuerhinterziehung;
- · Akten, die dem Rechtsverkehr entzogen, unterdrückt
oder auch manipuliert werden;
- · Vorwurf der Rechtsbeugung,
Freiheitsberaubung;
- · Verdacht auf Falschaussage oder schwere dienstliche
und außerdienstliche Verfehlungen vor dem Hintergrund von Alkohol oder
anderen Drogenalles Skandale und Skandälchen, von denen kaum eines der
großen Gerichte in der Bundesrepublik - und so manches kleinere auch nicht -
verschont gewesen wäre.
Reporter, die sich zur Aufdeckung entschließen - ich
drücke es bewusst so vorsichtig aus, weil ich etliche Kollegen kenne, die
sich dazu nicht oder nicht mehr entschließen können, was zwar
unprofessionell ist, aber nachvollziehbar Gründe hat - diese Reporter
jedenfalls haben sich auf einiges gefasst zu machen!!! Neben dem Einsatz des
Instrumentariums presserechtlicher Abwehransprüche - Gegendarstellung,
Widerruf, strafbewehrte Unterlassungserklärung - muss nun auch mit der
Einleitung strafrechtlicher Ermittlung und/oder Klage wegen Verletzung von
Persönlichkeitsrecht gerechnet werden. Zugleich wird flächendeckend ein
Manöver der Ausgrenzung und Isolierung in Gang gesetzt, in der Absicht, den
Reporter vom gängigen Informationsfluss abzuschneiden.
Auskünfte, um die er
bei den Behörden nachsucht, werden penibel auf ihre Berechtigung überprüft;
und soweit sie dann erfolgen, kommen sie verspätet und sind von
nichtssagender Kärglichkeit. Auch Tipps und Hinweise von Richtern auf
interessante Prozesse, versiegen plötzlich, und selbst jene in den Reihen
der Justiz, die dem Berichterstatter bisher gewogen waren und seine Arbeit
unterstützt haben, sehen sich unter dem Druck von Korpsgeist und Kameraderie
gezwungen, sichtlich auf Distanz zu gehen.
Reich belohnt mit Kontakt und
Information dagegen wird die "brave" Konkurrenz, was für den "bösen"
Kritiker und sein Organ, an denen Nachrichten gezielt vorbeirauschen, im
scharfen Wettbewerb der Medien bald schon zu einem ernsten Problem werden
kann. Steht ein Gericht unter Druck, werden aus seinen Reihen gern auch
Leserbriefe bestellt und organisiert.
Schüsse dieser Art können allerdings nach hinten losgehen, wenn sie andere Leser auf den Plan rufen und so
unversehens ein Nebenkriegsschauplatz entsteht. Hier nun ein erster Exkurs in die
Praxis kritischer Gerichtsberichterstattung, der Fall des Richters am
Landgericht Dr. X, der einem von Pressekritik bedrängten Kollegen zur Hilfe eilen möchte, und zwar im Leserbrief. Er schreibt:
"Zum ungezählten Mal hat sich Ihr Gerichtsreporter an dem Vorsitzenden Richter Z gerieben. Durchaus amüsant geschrieben, aber wenig sachdienlich und letztlich unfair....Man
fühlt sich an Tucholsky erinnert. Er, der es nur bis zum Referendar geschafft hatte, verfolgte sein Leben lang die Justiz in zahllosen feuilletonistischen Zeitungsergüssen mit dem Hass des Erfolglosen, Zukurzgekommenen. Was soll man Ihrem Autor raten? Das Beste wäre...ein Psychiater."
Der letzte Satz dieses Leserbriefs, der gute Rat des Richters Dr. X, wird zwar von der Redaktion gestrichen, erscheint mithin nicht -
worüber man geteilter Meinung sein kann -, aber auch ohne die verbale Entgleisung bringt der Brief der Justiz über Wochen geharnischte Reaktionen
ein, vor allem von Lesern, die Tucholsky kennen und schätzen und nichts auf ihn nichts kommen lassen wollen, schon gar nicht aus den Reihen der
Richterschaft. Hier ein paar Beispiele, auszugsweise:
"Ach, jene bedauernswerte Justiz, die da von einem Erfolglosen so gehässig "verfolgt' worden sein soll..!
Nicht die Richter waren die Verfolgten, Verfolgte waren schon vor 1933 die Gegner des gerichtlich unterstützten Militarismus und des
immer mehr um sich greifenden Naziterrors, Verfolgter war Tucholsky selber, dessen Bücher verboten und verbrannt wurden und der sich, von den Nazis
ausgebürgert, 45jährig in Schweden krank und vereinsamt das Leben nahm."
Und aus einem anderen Brief:
"Hier wird der Hochmut des Volljuristen zum blamablen Selbstzeugnis des Halbgebildeten. Tucholsky hatte in Berlin und Genf Jura studiert und promovierte 1914 cum laude in Jena".
Oder auch:
"Peinliche Unkenntnis! Wer waren die Richter, die Tucholsky angegriffen hat? Es waren die Richter, die Fememörder, rechtsradikale Gewalttäter als
'Patrioten' freisprachen und Carl von Ossietzky als 'Landesverräter' verurteilten. Richter, die sich scharenweise in die NSDAP und ihre
Gliederungen drängelten..., die beim Juristentag 1933 mit mehr als 10 000 Juristen begeistert 'Siegheil! ' brüllten und noch in den letzten
Kriegstagen Deutsche, Soldaten und Zivilisten, wegen 'Wehrkraftzersetzung'
hängen ließen."
Fazit eines Lesers, der trotz der alles andere als amüsanten
Diskussion auf seinen schwarzen Humor nicht verzichten will:
"Es ist doch immer wieder schön zu lesen, wenn sich einer unserer Herren Richter auf den
Fuß getreten fühlt und meint, dies könnte nicht unwidersprochen bleiben".
Und der kritisierte Kritiker, wie steht es um ihn? Mal davon abgesehen, dass er sich über den Vergleich mit Tucholsky freuen kann, hat er in der Regel
nichts zu befürchten, solange sich die Abwehr der Kritik im öffentlichen Diskurs vollzieht.
Immer vorausgesetzt natürlich, dass er - erstens- sauber
recherchiert hat und dies gerichtsfest auch belegen kann; und zweitens, dass
er korrekt umgeht mit Rechtswörtern und ihm bei der so notwendigen
Vereinfachung eines juristischen Sachverhalts - was bekanntlich nicht leicht
ist - keine Patzer unterlaufen. (
Anm. wie bei den Blogger und Mobbing-Gegnern!)
Anders ist die Lage für den Kritiker, wenn
Öffentlichkeit gerade nicht erwünscht ist. Wenn also mächtig Druck ausgeübt
wird, von diesem Umstand aber bitte nur jene Kenntnis nehmen sollen, die
sich dem Druck schweigend beugen mögen. Auch hierzu wieder ein Exkurs, wobei
ich um Verständnis bitte, wenn ich zur Glaubhaftmachung leider auf die
Einführung der Original-Dokumente hier verzichten muss, sondern unter
Wahrung von Verschwiegenheitspflicht die gebotene Anonymisierung vornehme.
Im Mittelpunkt des Falles steht ein Ehepaar, sie schwer krank, er 74 Jahre
alt, das auf Verlangen des Hauseigentümers - Eigenbedarf - nach elf Jahren
seine Wohnung räumen soll. Während der Vermieter in erster Instanz damit
scheitert, erreicht er in der Berufung vor dem Landgericht, dass seiner
Klage stattgegeben wird. Und das, obwohl Ärzte davor warnen, dass die
Eheleute den Umzug nicht ohne gravierende gesundheitliche Schädigung
überstehen werden. Offensichtlich hat das Landgericht in dem zuletzt
vorgelegten Gutachten der Universitätsklinik übersehen, dass die 56 Jahre
alte Ehefrau nach einer frischen Brustkrebsoperation inzwischen zu 100
Prozent erwerbsunfähig und als Schwerbeschädigte ausgewiesen ist - mithin
dem ebenfalls kranken und deutlich älteren Mann nicht - wie das Gericht
empfiehlt - "beim Umzug körperlich entlasten kann". Was den Mietern nach dem
Urteil bleibt, ist die Hoffnung auf Verlängerung der Räumungsfrist, für die
wiederum der Amtsrichter zuständig.
Der nun macht zwar gegenüber der Presse
kein Hehl daraus, dass er die Entscheidung der Vorinstanz - Zitat - "für
kaum vertretbar" hält, weist den Antrag auf Räumungsaufschub gleichwohl
jedoch zurück, mit der Begründung, dieser enthalte keine neuen
Gesichtspunkte, da ja die gesundheitliche und soziale Lage vom Landgericht,
wenn auch im Ergebnis falsch, bereits geprüft worden sei. Etwas Anderes wäre
es gewesen, wenn vorgetragen worden wäre, dass sich die Mieter wegen ihrer
Krankheit derzeit keine neue Wohnung suchen könnten - was im Schriftsatz des
Rechtsanwalts aber nicht zum Ausdruck gekommen sei.
Allerletzte Chance der
Eheleute: die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts, für die nun
wiederum die Mietrechtskammer zuständig ist - in der Hoffnung, dass die
Richter des Landgerichts zu einer anderen, nämlich zutreffenden Einschätzung
des sozialen Aspekts kommen und Räumungsaufschub gewähren.
Ein
vertrackter Fall, der von der örtlichen Presse in Berichten aufgegriffen und
auch Gegenstand von Kommentaren ist. Darunter der Beitrag von Reporter A. -
Überschrift: "Dem Recht zum Hohn" - , in dem er am Schluss schreibt: "Wenn
das Landgericht demnächst noch einmal in diesem ungewöhnlichen Mieterfall
entscheiden muss, sind die Richter in besonderer Weise gefordert: Zu den
Faktoren, die bei der Beschlussfindung eine Rolle spielen, sollte nämlich
auch die Courage gehören, Falsches wieder richtig zu machen, um dem
ramponierten Ansehen der Justiz in diesem Fall wieder mit dem Image einer
korrekten, bürgernahen Rechtspflege entgegenzuwirken."
Reaktion auf die
Veröffentlichung ist ein Schreiben, in dem sich der Präsident des
Landgerichts an die Chefredaktion wendet. Eindrucksvoll legt er zunächst ein
Bekenntnis ab zur Rolle der Justizkritik - ..."Kritische Auseinandersetzung
mit richterlichen Entscheidungen ist nicht nur aus der Sicht des einzelnen
und in den Augen der Öffentlichkeit notwendig; sie ist vielmehr ein
Lebenselement der Rechtsprechung selbst" - und kommt dann zur Sache:
"Auf einen nicht billigenswerten Weg begibt sich ein Kritiker aber dann, wenn er unter Ausnutzung der konzentrierten Öffentlichkeit eines Massenmediums ein Gericht oder bestimmte Richter unter Druck setzt, um eine konkrete, ausstehende Entscheidung in einem bestimmten Sinne zu beeinflussen.
Diese Grenze (...) hat der Kommentar überschritten. Dort werden zunächst durch ein sorgfältig ausgewähltes Vokabular (Skandal, unmenschlicher Akt, Hohn usw.) persönliche Ressentiments gegen die Richter der 11. Zivilkammer ... geweckt und sodann eben diese Richter aufgefordert, bei der Entscheidung über die Beschwerde gegen die Versagung des Räumungsaufschubs ihr rechtskräftiges
Urteil zu revidieren. (Hier)... sollen offenbar die Richter in eine Zwangslage versetzt und genötigt werden, das rechtskräftige Urteil zu
ignorieren."
Absatz.
"Ich werde solche Versuche aufmerksam beobachten und
habe es deshalb für erforderlich gehalten, Ihnen meine Auffassung hierzu mitzuteilen. Mit vorzüglicher Hochachtung..."
Was passiert? Das genötigte
Landgericht entscheidet wie befürchtet, die Mieter haben ohne Aufschub ihre
Wohnung zu räumen, die 56 Jahre alte Frau stirbt einige Monate nach dem
Umzug infolge der ihr ärztlich attestierten Erkrankung, ihr Mann, der
Witwer, kommt ins Altenpflegeheim. Unterdessen sind Gerichtsreporter A
weitere Fälle zugetragen worden, die Hinweis geben auf eine erschreckende
Ignoranz und Willkürlichkeit der Mietrechtskammer, was insbesondere Anwälte
zu spüren bekommen, die nach kritischen Äußerungen überzogen werden mit
Strafanzeigen wegen Nötigung und Ehrengerichtsverfahren. Darüber will er in
einem neuerlichen Beitrag berichten, auch unter Einbezug einer
Diskussionsveranstaltung, die er zum Thema "
Presse und Justiz" im Rahmen
einer juristischen Arbeitsgemeinschaft wahrgenommen hat.
Hierbei war - aus
welcher Quelle auch immer - das Schreiben des Landgerichtspräsidenten
erwähnt und heftig kritisiert worden, als Beispiel für einen
Einschüchterungsversuch der Justiz gegenüber ihren Kritikern. Es ist ein
einziger Satz nur, mit dem der Brief im Manuskript erwähnt wird, doch das
genügt, um vor Erscheinen des Artikels nun wiederum den Chefredakteur auf
den Plan zu rufen.
Was folgt, nennt man wohl Abmahnung, und die lautet:
"Sehr geehrter Herr A, nur durch Zufall erhielt ich davon Kenntnis, dass Sie
in einem Manuskript über Mietrecht auf einen Briefwechsel zwischen dem
Landgericht und der Chefredaktion hingewiesen haben. Ich hätte es für eine
Selbstverständlichkeit gehalten, dass Sie in einem solchen Falle mich
selbst, der ich der Adressat des seinerzeitigen Schreibens war, über Ihre
Absicht informiert hätten. Da dies nicht geschehen ist, muss ich Sie
schriftlich darauf hinweisen, dass ich Ihr Vorgehen für ärgerlich halte. Auf
jeden Fall bitte ich Sie, in Zukunft in solchen Fällen vorher mit mir
Rücksprache zu nehmen."
Justizkritik als Balanceakt zwischen den Stühlen -
wenn das Thema meines Vortrags am Ende dieser Exkursion seine abstrakte
Unschuld verloren hat, wenn Sie also jenseits der Begrifflichkeit auch etwas
nachfühlen können von den Kalamitäten kritischer Gerichtsberichterstattung,
wäre ich - vorläufig - zufrieden. (Anm.:
)
Es ist ein Balanceakt, der nicht nur Geschick erfordert und Courage, sondern mindestens ebenso viel Kenntnis und
Erfahrung. Jüngere Kollegen, die davon naturgemäß noch nicht so viel haben
können, fühlen sich in dieser Position oft wie auf einem Schleudersitz, mit
der Folge, dass sich etliche lieber auf das rein Nachrichtliche beschränken.
Und so bleibt der Kommentar, obwohl er sich beim Publikum breiter Resonanz
erfreut, in der Gerichtsberichterstattung weiterhin ein Stiefkind.
Viele
meiner Kollegen räumen freimütig auch ein, dass sie sich fachlich nicht
genügend versiert fühlen, um kompetent etwa Kritik an einem Urteil zu üben.
Wenn sie dann doch Stellung nehmen sollen, auf Wunsch der Redaktion,
beschränken sie sich auf feuilletonistisch aufgeplusterte Beiträge, auf die
vage Formulierung eines allgemeinen Unbehagens, vorzugsweise orientiert am
Strafmaß, das mal als zu lasch, mal als zu hart beschrieben wird - so als
handele es sich dabei um die Laune eines Wettergottes, der uns mal Heiteres,
mal Wolkiges beschert. Um richtig einschätzen zu können, wann ein Urteil
überzeugend ist und wann nicht, benötigen Gerichtsreporter mehr als nur ein
recht und schlecht funktionierendes Rechtsempfinden..
Gerichtsreporter müssen
ihr Handwerk beherrschen. Wird ein Urteil gescholten, darf es nicht aus dem
Bauch heraus geschehen, man braucht vielmehr strenge Kriterien, zum
Beispiel:
· Anwendung der Verfahrensführung? Klärung der Schuldfrage: Alle
erforderlichen Beweise erhoben?? Beweismittel richtig gewürdigt?
·
Prozessordnung: Durchgehend korrekte Bestimmung des Strafmaßes: Mildernde
und strafschärfende Umstände richtig gegeneinander abgewogen. Wichtig ist
vor allem, dass ein Missstand, der beklagt wird, richtig zu orten ist und
zwischen Rechtsanwendung und Gesetzeslage streng unterschieden wird.
Hat nun
das Gericht versagt oder erweist sich das Gesetz als lückenhaft oder gar
hinfällig? Bei fehlerhafter Rechtsanwendung haben die Verfahrensbeteiligten
Rechtsmittel. Taugt das Gesetz nichts, hat die Öffentlichkeit Macht und
Möglichkeit zu grundlegender Veränderung. Ein guter Kommentar kann dazu
beitragen - vielleicht.
Zu guter Letzt gestatten Sie mir eine Anmerkung, die
vielleicht auch hilfreich sein wird bei der anschließenden Diskussion. Was
ich Ihnen in der Sache Kritik und Reaktion geschildert habe, aus dem
Innenleben von Justiz und Journalismus, ist authentisch und belegt. Und doch
muss es ein Ausschnitt bleiben, subjektiv, ohne Anspruch auf Repräsentanz,
Signifikanz und weitere Kriterien, die erforderlich wären, eine Aussage
quantitativ und qualitativ wissenschaftlich abzusichern. Es ging mir nicht
um Wissenschaft, es geht mir um Erfahrung. Und Erfahrung ist auch, gerade
aus den letzten Jahren, dass die Gerichte zunehmend dazu übergehen,
öffentlich geäußerte Kritik einfach wegzustecken - ähnlich wie sie zu
ertragen haben, dass eine Entscheidung von höherer Instanz wieder aufgehoben
wird.
Für diesen Umgang mit Kritik, der jenseits des beschriebenen
Reiz-Reaktionsschemas geradezu entspannt wirkt - Justiz light und easy -
sehe ich im wesentlichen zwei Ursachen:
1. In der invasiv gewordenen Flut
von Nachrichten hat der einzelne Beitrag deutlich weniger Gewicht als
früher. Verfallsdaten im Journalismus werden immer kürzer und damit auch die
Wirkung von Kritik, der man aus dem Weg zu gehen hofft - nach dem Motto:
"Was soll's - schon morgen wird durchs Dorf eine andere Sau getrieben" ;
2. - und das ist für mich viel erfreulicher - gibt es einen Lernprozess zu
verzeichnen, nämlich: dass immer mehr Gerichte ihre Kritiker nicht mehr
meiden, sondern im Gegenteil Kontakt suchen - was gar nicht selten der
Anfang ist zu einem fairen, belastbaren und respektablen Umgang miteinander.
Etwas mehr Absätze würden die Lesbarkeit erleichtern. Also der Anfang des Artikels hat mir noch gut gefallen. Aber diesen riesengroßen Absatz - eine solche Textmenge überfliege ich nicht, solange dort nicht ein paar Absätze eingefügt werden. Grüße